Fall 14

FALL

Du arbeitest in der Hämatologie und ein fünf Monate altes Kind wird vom Pädiater vorgestellt. Der Kinderarzt hat im Labor eine Anämie und eine leichte Hämolyse festgestellt. Eine Hepatosplenomegalie und Gedeihstörungen wurden ebenfalls bereits diagnostiziert. Die Eltern des Kindes kommen gebürtig aus Griechenland. 

Krankheitsbild

  • Wie lautet deine Verdachtsdiagnose?

    ß-Thalassämie

  • Wie sieht die Pathogenese der Erkrankung aus?

    Ein Gendefekt ist die Ursache für eine verminderte Globinkettenbildung. Bei der im Mittelmeerraum üblichen ß-Thalassämie ist die Produktion der ß-Globinketten betroffen. Es kommt zu einer mikrozytären, hypochromen Anämie.

  • Wie kommt die Hämolyse zustande?

    Bei der ß-Thalassämie läuft die Produktion der a-Ketten normal ab. Da für die Paarbildung nicht genügend ß-Ketten zur Verfügung stehen, gehen diese a-Ketten zugrunde.

  • Es gib drei verschiedene Verlaufsformen der ß-Thalassämie. Kennst du diese?

    Thalassämie minor

    • da der Erbgang rezessiv ist, sind heterozygote Merkmalsträger klinisch meist stumm bzw. weisen milde Symptome einer Anämie auf; sie können die Erkrankung allerdings an ihre Nachkommen vererben

    Thalassämie intermedia


    Thalassämie major 

    • homozygote Merkmalsträger, Patienten sind schwer krank und lebenslang transfusionsbedürftig
  • Wie lässt sich die Hepatosplenomegalie bei deinem Patienten erklären?

    • durch die Hämolyse müssen Leber und Milz vermehrt Blutbestandteile abbauen
    • extramedulläre Blutbildung 
  • Welche zwei Geschehnisse spielen sich an den Knochen ab?

    erythroide Hyperplasie 

    • das Knochenmark vergrößert sich, um kompensatorisch mehr Erythrozyten zu produzieren

    Osteopenie-Osteoporose-Syndrom

    • durch die Ausbreitung des Knochenmarks müssen sich die Knochen zwangsläufig vergrößern und werden dadurch brüchiger
  • Kennst du die typischen Skelettveränderungen?

    • Facies thalassaemica → hohe Stirn, Verbreiterung der Diploe, Prominenz von Jochbein und Oberkiefer
    • Bürstenschädel → Auftreibung des Schädeldachs (typische Streifung ist im Röntgenbild sichtbar)
    • Risiko für pathologische Frakturen ist erhöht
    • Knochenschmerzen
  • Wie lässt sich die erhöhte Infektanfälligkeit erklären?

    Bei der Thalassämie vergrößert sich die Milz, weil sie vermehrt Blutbestandteile abbaut. Die Milz wird funktionell überaktiv und es kann passieren, dass auch Leukozyten beschleunigt abgebaut werden. Daraus resultiert eine erhöhte Infektanfälligkeit.

Diagnostik

  • Welche Blutwerte, die üblicherweise in einer Hausarztpraxis erhoben werden, deuten auf die Erkrankung hin?

    • Hb erniedrigt
    • MCH und MCV erniedrigt
    • Retikulozyten erhöht
    • Ferritin erhöht
    • Hämolyseparameter positiv
    • Targetzellen im Blutausstrich
  • Was sind Targetzellen?

    In diesen Zellen befindet sich am Rand und im Zentrum besonders viel Hämoglobin, dazwischen ist ein Bereich der weitestgehend frei von Hämoglobin ist. So entsteht das Bild einer Zielscheibe. Ursache ist ein Membrandefekt.

  • Welche weiterführenden Untersuchungen schließen sich zur Diagnosestellung an?

    • Hämoglobinanalyse → erhöhtes HbF (fetales Hämoglobin)
    • Molekulargenetik → Nachweis der Mutation
  • Warum solltest du bei deinem Vorgehen auch nach folgenden Zeichen (Kardiomyopathie, Leberfunktionsstörungen, Schilddrüsenunterfunktion, Diabetes mellitus) suchen?

    Aufgrund der Anämie nimmt der Körper kompensatorisch mehr Eisen aus der Nahrung auf als gewöhnlich. Da der Eisenmangel aber nicht die Ursache für die Anämie ist, kann der Körper es nicht verwerten und lagert Eisen in Herz, Leber, Schilddrüse usw. ab.

Therapie

  • Wie heißt die einzige kurative Therapieoption?

    Stammzelltransplantation (SZT)

  • Welche symptomatische Therapie wird in der Regel durchgeführt?

    regelmäßige Transfusionstherapie kombiniert mit einer Chelattherapie

  • Welchen Zweck erfüllt die Chelattherapie?

    begrenzt die Eisenüberladung durch die Transfusionstherapie → Deferoxamin (Chelatbildner) kann das beim Hämoglobinabbau anfallende Eisen binden und über die Nieren ausscheiden

  • Welchen Stellenwert hat die Splenektomie?

    Sie wird heute sehr zurückhaltend eingesetzt, da das Risiko für schwer verlaufende Infektionen steigt. Patienten, die nicht auf Transfusionen ansprechen, können von der Splenektomie allerdings profitieren.

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