FALL

Eine junge Frau sucht deine Praxis auf, weil sie sich seit Wochen müde und antriebslos fühlt. Von Freunden wird sie oft auf ihre blasse Haut angesprochen und selber hat sie starken Haarausfall bemerkt. Bei der körperlichen Untersuchung fällt Dir neben einer Tachykardie eine Belastungsdyspnoe auf. Im Blutbild findest du einen Hb von 10,5 g/dl und eine leichte Thrombozytose. Ansonsten ist das Blutbild blande.

Krankheitsbild

  • Wie lautet deine Verdachtsdiagnose?

    Eisenmangelanämie

  • Was ist die häufigste Ursache?

    chronischer Blutverlust → z.B. Magen- und Darmtumoren, Hypermenorrhoe

  • Kennst du weitere Ursachen?

    erhöhter Bedarf

    • Wachstumsphase
    • Schwangerschaft / Stillzeit
    • Sportler

    zu geringe Zufuhr


    mangelnde Resorption

    • Gastrektomie
    • Morbus Crohn
    • Colitis Ulcerosa
    • Zöliakie
  • Warum sind tierische Produkte bessere Eisenlieferanten als pflanzliche Lebensmittel?

    Die Wertigkeit des Eisens spielt eine große Rolle:

    • in tierischen Produkten befindet sich das Häm-Eisen, das 2-wertig ist und vom Körper gut resorbiert werden kann
    • in pflanzlichen Produkten befindet sich dagegen überwiegend 3-wertiges Eisen, das nicht resorbiert werden kann (es muss vorher durch die Ferrireduktase in 2-wertiges Eisen umgewandelt werden)
  • Sind Vegetarier besonders häufig von einer Eisenmangelanämie betroffen?

    Das ist ein Irrglaube. Vegetarier haben statistisch gesehen nicht häufiger eine Eisenmangelanämie als Fleischesser. Da sich besonders junge Frauen vegetarisch ernähren und diese generell eher einen Eisenmangel haben, wird häufig der Anschein erweckt, dass die vegetarische Lebensweise die Eisenmangelanämie erheblich fördert. Wenn aber junge Frauen, die vegetarisch leben und junge Frauen, die Fleisch konsumieren, verglichen werden, ist die Eisenmangelanämie in keiner Gruppe häufiger vertreten. 

  • Kennst du zusätzlich Stoffe, die die Eisenaufnahme hemmen oder fördern?

    Förderer 

    • Vitamin C (hilft bei der Umwandlung von 3-wertigem Eisen zu 2-wertigem Eisen und macht es so besser resorbierbar)

    Hemmer 

    • Kaffee, Rotwein, Trauben, Getreideprodukte, Soja, Tee
  • Kennst du Medikamente, die die Eisenaufnahme beeinflussen?

    • Medikamente gegen Sodbrennen z.B. PPI → Fehlen des sauren Milieus im Magen (die 2-wertige Form wird in die schlechter resorbierbare 3-wertige Form überführt)
    • Calcium- und Magnesium-Präparate

Symtome

  • Welche Symptome sind typisch?

    Allgemeinbefinden

    • Müdigkeit
    • Lern- und Konzentrationsschwierigkeiten
    • Restless Legs-Syndrom

    Haut

    • Blässe
    • Mundwinkelrhagaden
    • brüchige Nägel
    • Haarausfall

    Herz

    • Tachykardie
    • systolisches Herzgeräusch → durch die verminderte Blutviskosität kann es zu Strömungsturbulenzen kommen

    Lunge

    • Belastungsdyspnoe
  • Sagt dir das Pica-Syndrom etwas?

    Widerliche oder ungenießbare Substanzen wie Papier, Steine, Erde, Metalle oder Sand werden konsumiert. Das Syndrom soll neben neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen auch bei einer Eisenmangelanämie vorkommen.

  • Auch das Plummer-Vinson-Syndrom wird mit einer Eisenmangelanämie in Verbindung gebracht. Was ist darunter zu verstehen?

    Wenn ein Eisenmangel länger besteht, kommt es im Mund- und Rachenraum zur Atrophie der Schleimhaut. Folge sind Mundwinkelrhagaden und eine brennende Zunge. Im oberen Ösophagus kann sich eine Schleimhautmembran bilden, die Schluckbeschwerden verursacht.

Diagnostik

  • Welche Werte im kleinen Blutbild erwartest du bei einer Eisenmangelanämie?

    • Hb erniedrigt
    • MCV und MCH erniedrigt (mikrozytär und hypochrom)
    • Erythrozyten erniedrigt
  • Kannst du die Thrombozytose deiner Patientin erklären?

    Es handelt sich um eine reaktive Thrombozytose. Durch die Eisenmangelanämie wird Erythropoietin aus der Niere freigesetzt, um die Bildung der Erythrozyten auf Ebene des Knochenmarks zu stimulieren. Vermutlich wirkt Erythropoietin auch auf die Bildung der Thrombozyten stimulierend.

  • Welchen Laborwert möchtest du noch haben, um den Eisenmangel zu beweisen?

    Ferritin (Eisenspeicher) → sensitivster Laborwert, da der Eisenmangel schon erfasst wird, wenn der Hämoglobinwert noch im Normalbereich ist

  • In welchen Fälle verliert dieser Wert an Aussagekraft?

    Ferritin ist ein Akut-Phase-Protein. Maligne Erkrankungen, Entzündungen und Lebererkrankungen führen zu einem Anstieg des Ferritins. Ein bestehender Eisenmangel würde in diesen Fällen maskiert. Daher sollte sich der Arzt anamnestisch, klinisch und laborchemisch (CRP,BKS) vergewissern, dass kein derartiges Ereignis vorliegt.

  • Welchen Wert könntest du bestimmen, wenn du einen Eisenmangel feststellen möchtest, aber die Patientin aufgrund ihrer Grunderkrankung ein erhöhtes Ferritin hat?

    löslicher Transferrinrezeptor (sTfR)

  • Was sagt dieser Wert aus?

    Auf den Zellen, die Eisen aufnehmen, befinden sich sogenannte Transferrinrezeptoren, die Transferrin und somit auch Eisen in die Zelle aufnehmen. Die Expression dieser Transferrin-Rezeptoren auf der Zelle, ist abhängig vom Eisenbedarf der Zelle. Ist die Zelle gut mit Eisen versorgt, kommt es zu einer Downregulation der Transferrin-Rezeptoren. Besteht ein Eisenmangel erhöht sich die Rezeptordichte auf der Zelle, damit die Zelle möglichst viel Eisen abbekommen kann. Eine konstante Menge dieser Transferrinrezeptoren auf der Zelle löst sich ab und befindet sich im Blut. Diese löslichen Transferrinrezeptoren können im Blut bestimmt werden und geben Rückschlüsse über den Eisenbedarf der Zellen. Bei einem Eisenmangel ist der Wert erhöht.

  • Welche Schlüsse kannst du aus dem Transferrin und der Transferrinsättigung ziehen?

    Transferrin →  ist für den Eisentransport (Transportprotein) zuständig

    • wenn eine Eisenmangelanämie vorliegt, bildet die Leber kompensatorisch mehr Transferrin, damit das Eisen, das vorhanden ist, auch transportiert wird 

    Transferrinsättigung → gibt Auskunft darüber, wieviele Transferrin-Moleküle Eisen gebunden haben

    • bei einem Eisenmangel wird kompensatorisch mehr Transferrin gebildet, daher ist die Sättigung mit Eisen erniedrigt 
  • Kennst du einen frühen Marker der Eisenmangelanämie über den wir noch nicht gesprochen haben?

    Retikulozytenhämoglobin → da die Reifungszeit der Retikulozyten nur wenige Tage in Anspruch nimmt und die Retikulozyten nur etwa ein bis drei Tage im peripheren Blut auftreten

  • Zinkprotoporphyrin kann auch zur Diagnostik herangezogen werden. Was sagt dieser Wert aus?

    Bei einem Eisenmangel kann Zink ersatzweise in den Protoporphyrin-Komplex eingebaut werden. Bei dem alternativen Stoffwechselweg entsteht dann Zinkprotoporphyrin (ZPP) anstatt Häm. Bei einem Eisenmangel kann Zinkprotoporphyrin demnach erhöht sein. Allerdings drückt dieser Parameter nicht nur einen Eisenmangel aus, sondern kann auch ein Zeichen für andere Störungen des Eisenstoffwechsels sein (z.B. Anämie des chronisch Kranken). Sie beantwortet aber die Frage, ob die Anämie irgendetwas mit Eisen zu tun hat.

  • Wäre es nicht einfacher, Eisen direkt im Blut zu bestimmen?

    Der Wert ist stark abhängig von der letzten Nahrungsaufnahme, daher ist er nicht zuverlässig.

Therapie

  • Wie sieht die Therapie aus?

    • Behandlung der Grunderkrankung / Ursachensuche
    • Medikamentenanamnese (NSAR, Antikoagulanzien) und ggf. Umstellung
    • Aufklärung über eisenhaltige Ernährung (Hemmer und Förderer)
    • Eisensubstitution
  • Du hast dich mit deiner Patientin auf eine Eisensubstitution geeinigt. Was ist bei der Auswahl und Einnahme zu beachten?

    • Präparat der Wahl ist zweiwertiges Eisen (weil es besser resorbiert wird, als dreiwertiges Eisen)
    • die Einnahme sollte nicht mit Substanzen erfolgen, die als Hemmer der Eisenaufnahme gelten (Kaffe, Tee, Milch, Cola); besser ist die Einnahme mit Vitamin C haltigen Säften oder Wasser
    • die Einnahme sollte mit einem möglichst großen Abstand zu den Mahlzeiten oder nüchtern erfolgen, da im Verdauungstrakt dann ein saures Milieu herrscht und Säure dafür sorgt, dass das zweiwertige Eisen stabilisiert wird und nicht in das schlechter resorbierbare dreiwertige Eisen umgewandelt wird
  • Auf welche Nebenwirkungen sollte du deine Patientin hinweisen?

    • gastrointestinale Beschwerden (Übelkeit, Gastritis, Obstipation, Diarrhö) sind häufig
    • Nebenwirkungen bessern sich häufig nach längerer Einnahme
    • bei Fortbestehen der Nebenwirkungen → Einnahme zu den Mahlzeiten
    • Stuhl färbt sich schwarz 
  • Wie lange sollte die Substitution erfolgen?

    Nach drei Monaten sollte die Eisenmangelanämie behoben und die Eisenspeicher wieder gefüllt sein.

  • Wann ist die parenterale Gabe sinnvoll?

    • Inhibition der enteralen Eisenresorption bei chronischen oder entzündlichen Erkrankungen
    • dialysepflichtige Patienten
    • unter EPO Gabe bei onkologischen Patienten
  • Kannst du erklären, warum die orale Eisensubstitution mit zweiwertigem Eisen erfolgt und die intravenöse Gabe mit dreiwertigem Eisen?

    Das Eisen muss am Ende im Blut in dreiwertiger Form vorliegen:


    • intravenöse Gabe → es wird direkt dreiwertiges Eisen gespritzt
    • orale Gabe → für die enterale Aufnahme muss die zweiwertige Form vorliegen, in den Mukosazellen wird das Eisen oxidiert und liegt dann in der dreiwertigen Form vor und wird ins Blut überführt

    Dreiwertiges Eisen kann enteral nicht resorbiert werden, es muss erst durch die Ferrireduktase in die zweiwertige Form überführt werden, daher ist sie schlechter resorbierbar.

  • Welche intravenöse Zubereitungsform wird am besten vertragen?

    Eisencarboxymaltose

  • Was musst du bei einer parenteralen Gaben auf jeden Fall beachten?

    Eine lebensbedrohliche anaphylaktische Reaktion ist möglich. Daher darf eine solche Gabe - auch dann wenn bereits komplikationslos eine solche Injektion erfolgt ist - nur unter stationären Bedingungen erfolgen oder wenn der Patient nach der Gabe 30 Minuten in der Praxis bleibt und die Reanimation vom Personal beherrscht wird.

  • Intravenöse Eisenpräparate können eine Flush-Symptomatik hervorrufen. Wie kannst du diese Problematik minimieren?

    Nach der Applikation bindet das injizierte Eisen an Transferrin, da ungebundenes Eisen im Blut toxisch ist. Wenn die Transferrin-Bindungskapazität durch schnelle Gabe überfordern ist, befindet sich im Blut freies Eisen, das die Symptomatik hervorruft. Daher ist auf eine langsame Gabe zu achten. 

  • Woran siehst du, ob die Eisentherapie anschlägt?

    • nach 2 bis 4 Tagen steigt das Retikulozytenhämoglobin an
    • ab der 2. Wochen kommt es zum Retikulozytenanstieg
    • nach der vierten Woche sollte Hämoglobin um 1-2 g/dl angestiegen sein
    • vier Wochen nach der letzten Eiseneinnahme können die Eisenspeicher kontrolliert werden
  • Eine Mutter sucht die Notaufnahme auf, da ihr Kind versehentlich Eisentabletten geschluckt hat. Wie ist dein Vorgehen?

    Die letale Dosis liegt bei ca. 3 g Eisen-II-Sulfat.


    Maßnahmen: 

    • stationäre Aufnahme
    • Deforaxim → bindet Eisen und scheidet es aus
    • Na2CO3 → wandelt das Eisen-II-Sulfat in eine schwer lösliche Form um

Prophylaxe

  • Was schützt Säuglinge vor einer Eisenmangelanämie?

    Stillen hat einen schützenden Effekt. Das Eisen in der Muttermilch ist ähnlich gut resorbierbar wie aus Fleisch. Säuglinge, die mit Milchersatzprodukten aus Kuhmilch ernährt werden, sind gefährdet, da Kuhmilch weniger Eisen als Muttermilch enthält. Zudem enthalten Milchersatzprodukte viel Phosphat, das die Eisenresorption erschwert.

  • Deine Patientin erzählt dir beim nächsten Besuch, eine prophylaktische Eisengabe bei ihrer Tochter auf eigene Faust durchzuführen, da es ihr ja bestimmt nicht Schaden könne. Wie stehst du zu der Aussage der Mutter?

    Eine prophylaktische Eisengabe bei Kindern kann nachteilige Effekte auf das Wachstum haben und sollte daher unterbleiben. Ausgenommen hiervon sind Frühgeborene, die ab der achten Lebenswoche mit Eisen prophylaktisch therapiert werden sollten. Vor der achten Lebenswoche wird eine solche Substitution nicht empfohlen, da die intestinale Regulation der Eisenaufnahme noch nicht ausgereift ist. Bei Schwangeren und Dialysepatienten wird die Indikation für eine prophylaktische Gabe großzügiger gestellt.