Fall 15

FALL

Eine 30-Jährige Frau hatte vor drei Wochen eine Mykoplasmen-Pneumonie, von der sie sich wieder vollständig erholt hat. Die Patientin stellt sich nun mit sehr diffusen Symptomen vor. Im Blutbild fallen sofort eine Anämie und positive Hämolyseparameter auf. Nach Kälteexposition hat die Patientin zudem ein Raynaud-Syndrom entwickelt, das sie bei der Besprechung der Laborwerte anspricht.

Krankheitsbild

  • Wie lautet deine Verdachtsdiagnose?

    Autoimmunhämolytische Anämie (AIHA) vom Kältetyp

  • Wie entsteht die Hämolyse bei dieser Erkrankung?

    Das körpereigene Immunsystem bildet Antikörper, die eine Hämolyse auslösen. Kälteantikörper sind meist IgM-Antikörper, die bei niedrigen Temperaturen durch Komplementaktivierung die Hämolyse auslösen. Die akute Form tritt häufig nach Infektionserkrankungen (Mykoplasmen, EBV, Röteln) auf. Chronische Verläufe treten unter anderem in Begleitung eines Lymphoms oder auch idiopathisch auf.

Diagnose

  • Wenn du nur eine Untersuchung durchführen könntest, welche wäre das bei deiner Verdachtsdiagnose?

    Direkter Coombs-Test (ist bei einer AIHA positiv)

  • Kannst du diesen Test erläutern?

    Der Test weist Antikörper oder Komplementfaktoren nach, die an Erythrozyten haften. 


    1. Schritt: Blutprobe des Patienten wird gereinigt


    2. Schritt: Erythrozyten des Patienten werden mit dem Coombs-Serum inkubiert


    Wenn auf den Erythrozyten Antikörper haften, binden Antikörper aus dem Coombs-Serum daran und es kommt zu einer Verklumpung, die nachgewiesen werden kann.

  • Bei welchen medizinischen Fragestellung wird dieser Test noch herangezogen?

    • Verdacht auf Transfusionskomplikation
    • Verdacht auf Morbus haemolyticus neonatorum 
  • Und wie läuft der indirekte Test ab?

    Bei dem indirekten Coombs-Test wird überprüft, ob im Blutplasma Antikörper zirkulieren, die gegen Erythrozyten gerichtet sind. 


    1. Schritt: das zu untersuchende Plasma vom Patienten wird mit Testerythrozyten inkubiert


    2. Schritt: falls das Serum des Patienten Antikörper gegen Erythrozyten enthält, binden diese an die Testerythrozyten


    3. Schritt: direkte Coombs-Test schließt sich an

  • Welche Werte im Labor können ebenfalls auf die Erkrankung hindeuten?

    • Hämolyseparameter positiv
    • BSG erhöht (außer wenn das Blut warm ist)
    • Hämoglobinurie nach Kälteexposition möglich
  • Welche Blutwerte deuten auf ein hämolytisches Geschehen hin?

    • Haptoglobin erniedrigt → es wird nur das freie Haptoglobin gemessen
    • LDH → Bestandteil jeder Zelle, kommt bei einer Zellschädigung dann vermehrt im Blut vor
    • indirektes Bilirubin steigt → Abbauprodukt des Hämoglobins
    • eventuell freies Hämoglobin → eher bei einer hämolytischen Krise, wenn die Bindungskrapzität an Haptoglobin erschöpft ist
    • Retikulozyten steigen → kompensatorisch wird die Neubildung gesteigert
  • Welcher Hämolyseparamter ist am empfindlichsten?

    Haptoglobin

  • Was muss bei der Interpretation berücksichtigt werden?

    • Akut-Phase-Protein → steigt im Rahmen von Entzündungsreaktionen an (CRP Mitbestimmung)
    • wird überwiegend in der Leber synthetisiert und kann bei Lebererkrankungen erniedrigt sein
    • extravasale Hämolysen gehen nur mit einer Erniedrigung einher, wenn eine hämolytische Krise besteht
  • Bei Neugeborenen tritt welches Problem auf, wenn Haptoglobin als Hämolyseparameter bestimmt wird?

    Haptoglobin wird erst ab dem dritten oder vierten Lebensmonat gebildet, daher muss bei Verdacht auf ein hämolytisches Geschehen ein anderer Hämolyseparameter herangezogen werden.

Therapie

  • Welche Therapie ist bei der AIHA vom Kältetyp indiziert?

    Die akute Form ist meist selbstlimitierend. Schwere Verläufe werden intensivmedizinisch mit Transfusionen und einer immunsuppressiven Therapie begleitet.

Komplikationen

  • Eine Komplikation kann die hämolytische Krise sein. Was kannst du darüber berichten?

    Es handelt sich um eine Notfallsituation. Sie kann durch einen Transfusionszwischenfall spontan auftreten oder als Exazerbation einer chronischen hämolytischen Anämie in Erscheinung treten. Die Patienten haben häufig allgemeine Krankheitssymptome wie Fieber, Schüttelfrost, Kopfschmerzen und Bauchschmerzen. Der Hb-Wert sinkt schnell ab und durch die Hämolyse entsteht eine Hyperbilirubinämie mit Ikterus. Eine Hämoglobinämie, also das freie Auftreten von Hämoglobin im Blut, tritt auf, wenn die Bindungskapazität von Haptoglobin erschöpft ist. Sie kann als Hämoglobinurie vom Patienten bemerkt werden.

  • Welches Organ musst du bei einer hämolytischen Krise besonders überwachen und warum?

    Freies Hämoglobin ist ebenso wie freies Eisen toxisch und kann die Nieren schädigen und ein akutes Nierenversagen auslösen.

  • Eine weitere Komplikation ist die aplastische Krise. Wodurch wird sie ausgelöst und welche Patienten sind besonders betroffen? Wie sieht die Behandlung aus?

    Das Zusammentreffen einer Infektion mit dem Parvovirus B19 und einer chronischen hämolytischen Anämie ist meist Ursache einer aplastischen Krise: Durch die hämolytische Anämie wird das Blut abgebaut. Da das Virus das Knochenmark befällt, fehlt die kompensatorische Neubildung und es resultiert eine aplastische Anämie. Das Parvovirus ist der Erreger der Ringelröteln und befällt meist Kinder, daher gehören sie zur Risikogruppe. Bluttransfusionen und eine intensivmedizinische Betreuung können diesen kritischen Zustand überwinden.

Differentialdiagnosen

  • Es gibt noch zwei weitere Formen, die auch zu den autoimmunhämolytischen Anämien zählen. Kannst du diese benennen und kurz erläutern?

    AIHA vom Wärmetyp 

    • meist handelt es sich bei den Wärmeautoantikörpern um IgG-Antikörper
    • bei Körpertemperatur führen sie eine Hämolyse herbei
    • die Hämolyse ist extravasal lokalisiert
    • bei malignen Erkrankungen und anderen Autoimmunerkrankungen 

    Medikamentös induzierte Immunhämolyse 

    • Medikamente können die Bildung von Autoantikörpern indizieren
    • besonders häufig sind folgende Medikamente verantwortlich: NSAR (besonders Diclofenac), alpha-Methyldopa, Cephalosporine und Tuberkulostatika
    • klinisch ähnelt diese Form der autoimmunhämolytischen Anämie vom Wärmetyp
    • durch Absetzen des verantwortlichen Medikamentes kann die Situation beherrschbar werden
    • ggf. werden Immunglobuline und Prednison gegeben
  • Die AIHA gehören zu den extrakorpuskulären hämolytischen Anämien. Kennst du weitere Hämolysen, deren Ursache extrakorpuskulär ist?

    • mechanische Überbeanspruchung → Dialyse, künstliche Herzklappen
    • Infektionen → Malaria
    • toxisch → Gifte, Medikamente
    • alloimmunhämolytische Anämien → Rhesus-Inkompatibilität, ABO-Inkompatibilität, Transfusionsreaktion
    • Erkrankungen → HUS, Hypersplenismus, DIC
  • Kannst du die korpuskulären hämolytischen Anämien grob einteilen?

    • Enzymdefekte → Glucose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel, Pyruvatkinasemangel
    • Membrandefekte → Kugelzellanämie, Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie
    • Störungen der Hämoglobine → Sichelzellkrankheit, Thalassämien
  • Eine schwangere Patientin wird mit dem Verdacht auf Cholelithiasis überwiesen, da sie seit drei Tagen Schmerzen im rechten Oberbauch hat und zudem unter Übelkeit und Erbrechen leidet. Im Blutbild stellst du auch eine Erniedrigung des Haptoglobins fest. Welches Krankheitsbild darfst du nicht übersehen?

    HELLP-Syndrom (schwerwiegende Schwangerschaftskomplikation)

  • Welche Blutwerte würden den Verdacht erhärten?

    • H → Hämolyse
    • EL (Elevated liver enzymes) → erhöhte Leberenzyme
    • LP → (low platelet count) Thrombozytopenie
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