FALL

Ein Patient auf deiner Station steht kurz vor der Entlassung. Du hast noch ein Blutbild für den Entlassbrief angefertigt und die Thrombozyten werden mit 115.000 μL angegeben. Bei der Visite fühlt sich dein Patient gesund, freut sich auf die Entlassung und weist auch keine Blutungszeichen auf. Du schaust dir nochmal seine Akte an: TVT nach Knieoperation, laufende Heparintherapie mit NMH seit vier Tagen.

Krankheitsbild

  • Wie lautet deine Verdachtsdiagnose?

    Heparininduzierte Thrombozytopenien Typ I

  • Wie unterscheidet sich die HIT I von der HIT II?

    HIT I

    • komplikationslos
    • häufiges Krankheitsbild unter Heparintherapie
    • häufig zwischen dem 1. und 5. Tag
    • Ausschlussdiagnose (Thrombozyten meist > 100.000 μL)
    • kein Therapieabbruch erforderlich

    HIT II

    • thromboembolische Ereignisse, hohe Letalität
    • seltenes Krankheitsbild, meist unter Therapie mit UFH
    • ab dem 5. Tag
    • Diagnose: BB (Thrombozyten < 50% des Ausgangswertes oder < 100.000 μL) und Bestimmung thrombozytenspezifischer Antikörper
    • sofortige Beendigung der Heparintherapie
  • Bei der HIT II kommt es typischerweise auch bei starkem Abfall der Thrombozyten zu keinerlei Blutungszeichen. Kannst du das erklären?

    Die HIT II ist im Gegensatz zu der HIT I eine antikörpervermittelte Reaktion. Durch die Antikörper wird auch die Gerinnung aktiviert, daher fehlen Blutungszeichen. Es kommt durch die Gerinnungsaktivierung dann typischerweise zu venösen und arteriellen Thrombosen.

Diagnostik

  • Ab wann spricht man von einer Thrombozytopenie?

    Thrombozytenabfall auf unter 150.000/µl 

  • Welchen ersten diagnostischen Schritt leitest du ein?

    Ausschluss einer Pseudothrombozytopenie

  • Was ist das für ein Phänomen?

    Im EDTA-Röhrchen können die Thrombozyten verklumpen und vergrößern sich dadurch und werden vom automatischen Zählgerät aufgrund der Größe nicht als Thrombozyt, sondern eher als Leukozyt erfasst.

  • Wie sieht dein weiteres diagnostisches Vorgehen aus, wenn du diesen Verdacht hast?

    Anstatt eines EDTA-Röhrchens werden die Thrombozyten dann mit einem Citratröhrchen bestimmt, wo die Verklumpng nicht geschieht.

Therapie

  • Was ist neben der sofortigen Beendigung der Heparintherapie bei der HIT II wichtig?

    • absolute Kontraindikation für heparinhaltige Medikamente, das gilt auch für Salben und Katheterspülungen mit Heparin → Notfallausweis
    • Thrombozytengabe vermeiden
    • Umstellung auf ein anderes Medikament → Argatroban (direkter Thrombininhibitor) oder Danaparoid (zeigt in 10 % Kreuzreaktivität mit Heparin)
  • Da die Heparintherapie im klinischen Alltag eine große Bedeutung hat, gehen wir noch ein bisschen darauf ein. Kannst du die Wirkungsweise von Heparin erläutern?

    Grundlage:

    Antithrombin III bindet an Gerinnungsfaktoren (z.B. an Thrombin oder Faktor Xa) und inaktiviert diese


    Heparintherapie:

    Heparin bindet an Antithrombin III und verstärkt dessen Wirkung erheblich, demnach findet die Inaktivierung von einigen Gerinnungsfaktoren unter Heparintherapie stark beschleunigt statt 

  • Warum ist niedermolekulares Heparin grundsätzlich der unfraktionierten Variante vorzuziehen?

    • Komplikationen wie Blutungen und die Heparin-induzierte Thrombozytopenie II sind seltener
    • keine engmaschige Bestimmung der Gerinnungsparameter, da aufgrund einer stabilen Bioverfügbarkeit und einer gewichtsadaptierten Verabreichung die Gerinnung überschaubar beeinflusst wird
    • längere Wirkdauer → weniger Injektionen für den Patienten
    • kann auch in therapeutischer Dosis subkutan verabreicht werden (ambulante Behandlung möglich)
  • Kann unfraktioniertes Heparin auch in therapeutischer Dosis subkutan gegeben werden?

    Nein, die Halbwertszeit von unfraktioniertem Heparin ist so kurz, dass kontinuierlich über ein Perfusor eine Verabreichung erfolgen muss, wenn die Heparindosis im therapeutischen Bereich liegen soll. Eine prophylaktische Gabe kann dagegen auch subkutan mit unfraktioniertem Heparin erfolgen.

  • Wann wird das unfraktionierte Heparin bevorzugt?

    • Niereninsuffizienz → NMH wird renal ausgeschieden; bei Niereninsuffizienz kann es zu einer Akkumulation kommen, daher ist eine Dosisanpassung oder eine Anwendung mit UFH nötig
    • geplante Operation → im Gegensatz zu NMH kann UFH sofort antagonisiert werden
    • nofallmäßig → schneller Wirkungseintritt
  • Warum wirkt unfraktioniertes Heparin schneller als niedermolekulares Heparin?

    NMH → geringere Größe und bindet nur an Antithrombin

    • inaktiviert den Faktor Xa → es wird weniger Thrombin aus Prothrombin hergestellt

    UFH → ist größer und kann auch an den Exosite-2-Rezeptor des Thrombins binden

    • inaktiviert den Faktor Xa → es wird weniger Thrombin aus Prothrombin hergestellt
    • zusätzlich → Hemmung von Thrombin

    Durch die kombinierte Bindung an Faktor Xa und Thrombin tritt die Wirkung des unfraktionierten Heparins zügiger ein und erklärt den bevorzugten Einsatz in einer Notfallsituation.

  • Womit kann UFH antagonisiert werden?

    Protamin (Die Wirkung von NMH wird durch Protamin auch abgeschwächt, aber weniger zuverlässig als bei dem UFH)

  • Welche Therapie (UFH oder NMH) muss laborchemisch überwacht werden?

    UFH

  • Warum ist das erforderlich?

    Die Wirkung des UFH ist von Patient zu Patient und auch bei einem Patienten zu unterschiedlichen Zeitpunkten sehr variabel und muss daher überwacht werden. 


    Erklärung:

    Das UFH weist eine hohe Plasmaeiweißbindung auf und kann daher mit vielen Blutbestandteilen interagieren und die Wirkung kann durch diese Bestandteile beeinflusst werden. Akut-Phase-Proteine können zum Beispiel die Heparinwirkung neutralisieren und diese Proteine schwanken im Krankheitsverlauf und von Mensch zu Mensch. 

  • Wie überwachst du diese Therapie?

    Bestimmung der aktivierten partiellen Thromboplastinzeit (aPTT)

  • Kannst du damit auch die Wirkung des NMH überwachen?

    Zur Kontrolle der Therapie mit NMH ist die aPTT nicht geeignet.

  • Welchen Wert könntest du heranziehen?

    Bestimmung der Anti-Xa-Aktivität (eine Überwachung erfolgt bei NMH allerdings nicht standardmäßig) 

  • Kennst du Nebenwirkungen einer Heparintherapie?

    • erhöhte Blutungsgefahr
    • Heparin-induzierte Thrombozytopenie
    • allergische Reaktionen
    • Osteoporose → Osteoklasten werden bei einer längeren Anwendung aktiviert
    • reversibler Haarausfall
  • Kann Heparin während der Schwangerschaft oder Stillzeit verabreicht werden?

    Heparin ist nicht plazentagängig und kann während der Schwangerschaft verabreicht werden. Es ist zum Teil muttermilchgängig, da Heparin aber aus dem Magen nicht resorbiert werden kann, ist die Heparintherapie mit dem Stillen vereinbar.

  • Stelle dir folgendes - eher seltene - Szenario vor: Ein Patient bekommt mehrere Tage Heparin, aber eine antikoagulatorische Wirkung tritt nur in sehr abgeschwächter Form in Erscheinung. Fällt dir eine Erklärung ein?

    Es könnte ein Antithrombinmangel vorliegen. Normalerweise verstärkt Heparin die Wirkung vor allem von Antithrombin III und erzeugt dadurch seinen Effekt. Bei einem Antithrombinmangel kann Heparin seine Wirkung dann nicht entfalten.